Warum „Gib mir noch Zeit“ auf Dauer meistens keine Lösung ist
Es ist ein klassischer Fall: Ein Paar aus unserer Praxis war frustriert darüber, dass sie nach der Geburt ihrer Kinder keinen Sex mehr hatten. In der Folge ist er aus dem Schlafzimmer ausgezogen. Beide haben gedacht: Wir brauchen Zeit – und dann kommen wir wieder zusammen.
Der Mythos, dem das Autor*innen- und Paartherapeut*innen-Paar Ralf Sturm und Katharina Middendorf hier nachspürt, ist ein gesellschaftlich sehr gern angenommer. Der Satz: “Ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit” klingt nachdenklich und besonnen. Man reagiert daher zunächst gerne mit: “Klar, nimm dir die Zeit, die du brauchst.” Was aber, wenn die Ideenlosigkeit, Resignation, Ambivalenz, Trägheit oder Starre, die sich oft hinter diesem Satz verbirgt, länger als ein paar Tage anhält? Was, wenn nichts unternommen wird, um das zu lösen, wofür man sich Zeit erbeten hat? Der/die Partner*in wird dann (zurecht) oft ungeduldig. Denn intuitiv weiß die Person, dass Zeit allein nicht hilft, sondern nur das, was der/die andere mit der Zeit macht.
Besser wäre es zu sagen: “Ich brauche noch Zeit, um mich darum zu kümmern, dass ich das Problem xy in den Griff bekomme, z.B. durch xy”. Dann weiß man, dass es nicht die Zeit ist, die das Problem löst, sondern die Zeit, die man braucht, um aktiv zu werden. Die meisten Menschen wollen aber mit diesem Satz Zeit gewinnen statt nutzen, in der Hoffnung, dass eine Lösung oder Entscheidung vom Himmel fällt. Und damit stehen die Chancen schlecht, so die Paartherapeut*innen Ralf Sturm und Katharina Middendorf. Doch was tun, wenn man ständig um Zeit gebeten wird? Und wie kann man auf der anderen Seite vermitteln, dass man die Zeit auch wirklich nutzen will? Um diese beiden Fragen geht es in diesem Artikel anhand von Fallbeispielen aus der therapeutischen Praxis.
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